Sind Autos Freiwild?
- SAF -
  1. Wir Radfahr begehren nichts, was uns die Straßenverkehrsordnung nicht seit Jahrzehnten schon zuspricht: Das Recht, die Fahrbahn zu benutzen. In § 2 Absatz (4) StVO heißt es: "Mit Fahrrädern darf nebeneinander gefahren werden, wenn dadurch der Verkehr nicht behindert wird; anderenfalls muss einzeln hintereinander gefahren werden. Eine Pflicht, Radwege in der jeweiligen Fahrtrichtung zu benutzen, besteht nur, wenn dies durch Zeichen 237, 240 oder 241 angeordnet ist". Nur ausnahmsweise darf die Straßenverkehrsbehörde anordnen, daß der Radfahr den Radweg oder gar den Bürgersteig befahren muß, sog. Radwegebenutzungszwang. Jeder Radfahr kennt die runden Verkehrsschilder mit den weißen Fußgäng- und Fahrradsymbolen auf blauem Grund. Das Bundesverwaltungsgericht hat im Jahr 2010 entschieden, daß es keineswegs zulässig ist, daß eine Kommune diese Radwegebenutzungspflicht gleichsam flächendeckend anordnet. Falls Du es genau wissen möchtest, lies den folgenden Absatz (oder schau Dir das Urteil in Gänze hier an: BVerwG ).


    Die Behörde darf die Benutzung eines Radwegs nur dann vorschreiben, wenn
    (1.) aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die
    (2.) das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs - erheblich übersteigt (§ 45 Abs. 9 Satz 2 StVO). Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne des § 45 Absatz 9 Satz 3 StVO können insbesondere aufgrund der Streckenführung, des Ausbauzustands (etwa Fahrbahnbreite oder Ausweichmöglichkeiten), witterungsbedingten Einflüssen - z. B. Nebel, Schnee- und Eisglätte -, der Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen anzunehmen sein.


    Viel zu viele Gemeinden haben sich nicht um diese Rechtslage geschert und in stiller Übereinkunft mit der Autolobby ihr Straßennetz gewissermaßen von Radfahrn "gesäubert". Das Motto 'Freie Fahrt dem freien Bürg' beherrschte das unkritische Denken in den Amtsstuben der Straßenverkehrsbehörden über Jahrzehnte hinweg. Wir alle haben den Primat, den Vorranganspruch des Autos, der Herrscher über die Straßen zu sein, gewissermaßen mit der Muttermilch aufgesogen.
    Theoretisch könnten wir gegen alle diese Verkehrsschilder Widerspruch einlegen, denn jedes Schild stellt für sich einen anfechtbaren Verwaltungsakt, eine Allgemeinverfügung dar. Aber zum einen stünde dagegen wohl, das die Frist für diesen Rechtsbehelf von einem Monat seit dem Erlaß des Verwaltungsakts abgelaufen ist. Zum anderen wäre ein solches Vorgehen unpraktikabel; man muß bundesweit über Hunderttausende dieser größtenteils rechtswidrigen Anordnungen befürchten.
  2. Was tun? Ganz einfach. Wir Radfahr radeln auf der Fahrbahn, unabhängig davon, ob die Radwegebenutzungspflicht angeordnet ist.
    Das erscheint nur auf den ersten Blick als rechtswidrig. Du mußt nämlich schon bei der derzeit - noch geltenden - Rechtslage dort nicht auf dem Bürgersteig radeln, wo dessen Benutzung "unzumutbar" ist. Die Rechtsprechung legt dieses von ihr entwickelte Kriterium eng aus - oh Wunder. Schnee und Eis sind ein klarer Fall, lies dazu Bundesgerichtshof aus dem Jahr 1994. Schlaglöcher, Querrillen oder -rippen sind es für uns schnelle, jenseits 25 km/h radelnde Radfahrn - heute ein Standardtempo für jeden E-biker, Fahrradkurier, Liegeradl - schon, für einen Richt eher nicht. Ein Richt stellt sich tendenziell unter einem Radfahr jemand vor, der ähnlich wie Freiherr von Drais auf seinem Laufrad im 18. Jahrhdt dahingondelt. Der Radfahr kann es nicht eilig haben, er radelt eher zum Vergnügen, sonst hätte er gewiß ein Auto benutzt.

    Stattdessen sollten wir Radfahr das Kriterium der Unzumutbarkeit geschwindigkeitsbezogen auslegen. Ein Fahrradkurier auf seinem Rennrad, ein E-biker und erst recht ein vollverkleideter Liegeradl können schlicht nicht auf einem durchschnittlichen Bürgersteig fahren. Bodenwellen, Schlaglöcher, Mülltonnen, Dreck, Scherben und - vor allem anderen - Fußgäng bilden eine Risiko-Gemengelage, die schlicht nicht zu handhaben wäre.

    Übrigens darfst Du von Rechts wegen auch dann auf der Fahrbahn radeln, wenn Du abbiegen möchtest (OLG Hamm, Az. 27 U 2/89; OLG Brandenburg, Az. 2 U 32/95); lies OLG Oldenburg vom 29.12.2011 - 14 U 30/11 . Du mußt Dich nicht darauf verweisen lassen, an einer Kreuzung anzuhalten und zu warten, bis Du die Fahrbahn queren kannst. Du darfst Dich so rechtzeitig in den Verkehr einreihen, der auf der Fahrbahn fließt, daß Du mit dem Autoverkehr zusammen auf der Kreuzung abbiegen kannst.

    Und Du mußt einen Radweg natürlich dann nicht benutzen, wenn er nicht diejenige Straße begleitet, die in Deine gewünschte Richtung führt. Ein starkes Indiz dafür, daß ein Radweg nicht straßenbegleitend verläuft, ist der Umstand, daß er dem Radfahrer nicht dieselben Vorfahrtrechte gegenüber Querverkehr gewährt oder weiter als 5 Meter vom Straßenrand entfernt ist. Dem OLG Hamm genügte im Jahr 2000 eine wenige Meter lange Verschwenkung eines Radwegs weg von der vorfahrtberechtigten Straße, um dem Fahrradfahrer dessen Vorfahrtsrecht zu versagen, welches er ohne weiteres gehabt hätte, wäre er auf der Straße geradelt.
  3. Dringend müssen wir noch mit einem Märchen aufräumen, welches die Träume viel zu vieler Radfahrn beherrscht. Ist unter dem Zeichen 239 StVO - Gehweg/Fußgänger - durch Zusatzzeichen die Benutzung eines Gehwegs für eine andere Verkehrsart erlaubt, muss diese auf den Fußgängerverkehr Rücksicht nehmen. Die StVO ordnet an:
    "Der Fußgängerverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden.
    Wenn nötig, muss der Fahrverkehr warten; er darf nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren.


    Schrittgeschwindigkeit meint 4 km/h, wenn Du nicht aufpasst, kippst Du um. Klingeln verboten. Passanten genießen absoluten Vorrang. Du kannst die Anforderungen, die die Rechtssprechung an Dich als Radfahr auf dem Bürgersteig stellt, hier nachlesen: OLG Oldenburg - Beschluß vom 9.März 2004
    Überholen bedeutet hier meist Absteigen.
    Es wäre von keinem Radfahr eine gute Idee, den Bürgersteig als Radweg zu mißbrauchen und auf ihm vermeintlich sicher entlangzubrettern.
    Ein ballspielendes Kind aus einer Einfahrt, eine torkelnde Omi oder ein abrupt die Richtung ändernder Fußgänger wären sein klarer und teurer Haftungsfall, zivil- und strafrechtlich! Zudem dürfte der Haftpflichtversicherer des Radfahr diesem wegen dessen offensichtlicher Ordnungswidrigkeit häufig auch noch den Versicherungsschutz verweigern mit dem Argument, er habe vorsätzlich geschädigt (billigendes Inkaufnehmen der Verletzung genügt). Dieser Vorwurf könnte vor allem dann zum Tragen kommen, wenn Radfahr versucht hat, sich mit hoher Geschwindigkeit am Fußgänger vorbeizumogeln, wie das in der Praxis leider recht häufig zu beobachten ist. Das bedeutete für den Radfahr ein teures Erwachen. Den allermeisten von uns Radfahrn ist diese Haftungsfalle offensichtlich kein Begriff, das zeigen Beobachtungen, die ich in meiner Gemeinde am Rande einer Großstadt machte. Denn es gehen jetzt im Zuge der Verkehrswende vermehrt Gemeinden dazu über, die Benutzungspflicht von Bürgersteigen abzuschaffen.

Sei smart. Fahre Du auf der Straße!