Sind Autos Freiwild?
- SAF -

Volker Wissing ist als Verkehrsminister in der Bundesregierung zuständig für Geschwindigkeitsbeschränkungen in der Fläche. Er ist Vater einer Teenagerin. Kennst Du noch die Serie "Papa, Charly hat gesagt..." im NDR-Radio? In diesem Podcast lief vor 50 Jahren eine sehr eingängige Wissenvermittlung für Kinder.
Höre nun mal in diesen futuristischen Spot aus dem Jahr 2043 hinein:

An einem Sonntagmorgen bei Wissings am Frühstückstisch. Im Radio plärrt der Nachrichtensprecher: "Trockene Wasserhähne in ganz Deutschland. Ahrtal nach 3. Sintflut endgültig aufgegeben. Millionen arbeitslose italienische Bauern. Sämtliche Oliven und Weinstöcke sind verdorrt. Frontex erschoß erneut Hunderte Flüchtlinge aus dem Sahel."
Volkers mittlerweile erwachsene Tochter wiegt ihren 3-jährigen Sohn sanft auf dem Schoß. Auf einmal blickt sie ihren Vater an: "Papa, Charly hat gesagt, Du seiest ein Versager." Volker blickt sie erstaunt an.
Pause.
"Papa, Du warst doch damals Minister. Was wußtest Du eigentlich über den Klimawandel und was hast Du als Minister dagegen unternommen?" Volker ergreift irritiert seine Kaffeetasse und ruft Richtung Küche: "Rita, bring' mal die Milch mit".
Pause.
"Kein Tempolimit? Nirgendwo? Warum hast Du bloß sogar diese kostenlose und sofort wirksame Maßnahme unterlassen?"
Volkers Kaffeetasse beginnt leicht zu zittern.
"Du hast Dich doch nicht" - ihre Stimme beginnt zu stocken - " Du hast Dich nicht etwa den Einflüsterungen der Autoindustrie hingegeben?"
"Oder hast Du etwa" - die Stimme bricht nahezu - "hast Du etwa nur Deine Karriere im Blick gehabt?" Die Kaffeetasse fällt zu Boden und zerspringt auf den Fliesen.
"Papa?
PAAPAAAAAA!!!!!"

Lieber Volker Wissing, falls Du diese Seite jemals besuchen solltest: So häßlich muß es bei Dir zuhause nicht enden!

Es ist eine Binse, daß das Unfallrisiko in dem Maße sinkt, in dem die Homogenität der gefahrenen Geschwindigkeiten steigt.

Ich fahre nicht nur Fahrrad. Ich fahre auch Auto. Wie Du wahrscheinlich auch. Und vielleicht fragst auch Du Dich gelegentlich: Tempo runter, bringt das überhaupt etwas Zählbares für den Klimaschutz? Tempo 100 km/h auf der Autobahn? Tempo 70 km/h auf der Landstraße? Und Tempo 30 km/h innerorts? Hier kommt meine Antwort auf Deine Frage.

Mein nagelneuer Mazda CX 5 ist ein mittelgroßes SUV mit 150 PS. Bei konstanter Geschwindigkeit von 125 km/h verbraucht dieses Auto rd 5,5 Liter Diesel. Bei konstant 105 km/h sind es 4,3 Liter (entspricht einer Spriteinsparung von 22 %). Bei 85 km/h sind es 3,7 Liter (33 % weniger Sprit).

Weniger Sprit heißt ja nicht nur weniger CO2. Sondern auch weniger toxische Abgase insgesamt, weniger Lärm und weniger Feinstaub. Das Geheimnis des Spritsparens liegt im möglichst konstanten, gleichmäßigen Fahrbetrieb. Jeder Beschleunigungsvorgang kostet enorm Energie und verursacht Lärm, jedes Abbremsen vernichtet sie (und produziert Feinstaub über den Bremsabrieb). Je niedriger die Fahrgeschwindigkeit, umso länger rollt das Fahrzeug ohne diese beiden schädlichen Manöver.

Der billigste und schnellstwirksamste Klimaschutz ist langsameres Autofahren.

Und je niedriger die Fahrgeschwindigkeit, umso verträglicher fällt das Nebeneinander und Hintereinander der Verkehrsteilnehmer aus.

Der gesamte rollende Verkehr, gleich, ob Fahrrad, Pedelec, Mofa, Auto und LKW, fährt auf der Fahrbahn. Das Unfallrisiko wird dadurch erheblich abgesenkt, weil jeder jeden wahrnimmt. Eine im gesamten Stadtgebiet geltende Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h und das Überholverbot für motorisierte Fahrzeuge flankieren die Risikominimierung. Dieses Überholverbot gilt also auch für Mofa und auch Pedelec. Desweiteren mindert die saubere Fahrbahndecke zugunsten der Radfahrn die Sturzgefahr. Die Straße ist nämlich erfahrungsgemäß frei von Blättern, Ästen, Mülltonnen und Sperrmüll, ganz im Gegensatz zu den Radwegen.

Der Autofahr hat - bei Lichte betrachtet - nahezu keine Einbuße zu beklagen. Er darf weiterhin jede Straße befahren, er sitzt in seiner trockenen und warmen Kiste, kann wie bisher seine Kinder zur Schule und seine Getränkekisten nach Hause fahren. Kurzum: Ihm bleiben sämtliche Vorteile des Autofahrens erhalten.
Nur muß er seinen Strauß an Vorteilen fortan mit einem reduzierten Tempo verknüpfen. Dabei spielen ihm aber weitere Vorteile in die Hände. Zu Zeiten der rush-hour wird er keinerlei Unterschied bemerken. Bemerken wird er aber stets, daß sein Benzinverbrauch signifikant gesunken ist. Ihm wird auch auffallen, daß er weniger brenzlige Gefahrensituationen zu meistern haben, weniger abrupte Bremsmanöver zu absolvieren haben wird. Kurz - das Autofahren wird sich auch für ihn entspannter anfühlen.

Diese Vision werden wir allerdings nur dann genießen können, wenn eine bestimmte Bedingung erfüllt ist. Glücklicherweise liegt es in unserer gemeinsamen Hand, ob diese Bedingung eintritt. Uns Radfahrn genügt es nicht, die ratio, also den Verstand der Autofahr für uns zu gewinnen. Wir müssen an seinen Bauch appellieren, seine Emotion positiv verändern.
Was heißt das konkret?
Vor allem den Autofahr nicht mit dem Horrorszenario des Klimawandels zu konfrontieren. Und ihn schon gar nicht als Klimasünder abstempeln. Angst und Schuld verursachen beim Menschen niemals eine positive Emotion. Wir müssen stattdessen gemeinsam eine Atmosphäre schaffen, in der dem Autofahr die Vorteile auch für ihn plastisch vor Augen stehen. Der Mensch reagiert positiv, ist motiviert, etwas an seinem Verhalten zu ändern, mitzumachen, soweit für ihn selbst etwas Gutes herausspringt. Wer heute in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen raucht, wird schief angesehen. Er wird das Rauchen kurz über lang aufgeben, selbst wenn ihm die Zigarette eigentlich schmeckt. Wer im Plauderkreis seine Flugreise erwähnt, schiebt häufig schon von sich halb entschuldigend hinterher, daß er natürlich eine Abgabe gezahlt habe, um seinen carbon footprint zu kompensieren.

Verkehrsblockaden mögen Politiker wachrütteln. Abgefackelte SUV ebneten gewiß keinen Weg hin zur Einsicht des Einzelnen. Zielführend und nachhaltig im Sinne einer guten Menschenführung wäre es, darauf hinzuweisen, daß viele Autofahrn auch Fahrrad fahren, radelnde Kinder, Enkel oder Freunde haben, oder unter Asthma leiden. Es gibt nicht den "Autofahr" oder den "Radfahr", "Fußgäng". Die allermeisten von uns nutzen nahezu jedes Verkehrsmittel. Sie sind alles gleichermaßen.

Rücksichtnahme auf den Anderen ist schon alles, was wir alle im Verkehr brauchen.

Und jeder von uns ist aufgerufen, eigene Rücksicht zu üben. Diese Kampagne muß von unserer gesamten Zivilgesellschaft getragen werden. Diese Vision muß von der Politik gewollt und von Wirtschaft und Kultur unterstützt werden.

Wir, die wir das Fahrradfahren lieben, werden diese Kampagne initiieren, Feuer legen und ihren Treibsatz zünden!
Wir schaffen das (guter Spruch, leider abgekupfert)!